Myopie / Kurzsichtigkeit

Was ist eine Myopie?

Bei einer Myopie (Kurzsichtigkeit) ist das Auge im Verhältnis zur Brechkraft zu lang. Der Patient kann in der Nähe gut sehen, in der Ferne ohne Brille oder andere Hilfsmittel jedoch nur verschwommen.

Kann sich eine höhere Myopie ungünstig auf die Augengesundheit auswirken?

Besonders eine hohe Myopie (über ca. 6 Dioptrien) ist neben dem Faktor Lebensalter der Hauptrisikofaktor für degenerative Augenerkrankungen wie Katarakt (grauer Star), Glaukom (grüner Star), Netzhautablösung und myope Makuladegeneration.

Wie viele Menschen sind in Deutschland betroffen?

Die typische „Schul-Kurzsichtigkeit“ beginnt meist zwischen 6 und 12 Jahren. Bis zum Ende der Grundschulzeit werden in Deutschland aktuell ca. 15% aller Kinder kurzsichtig. Die Rate steigt bis auf jeden zweiten jungen Erwachsenen. Weltweit wird zwar eine Zunahme der Myopie beobachtet, in Deutschland jedoch ist die Rate der Myopie bei Brillenverordnungen in den letzten 15 Jahren unter den Jugendlichen vorerst stabil geblieben.

Priv.-Doz. Dr.--Hedergott-Andrea
Priv.-Doz. Dr. Andrea Hedergott
Welche Risikofaktoren gibt es für eine Myopie?

Im Rahmen der Industrialisierung und Alphabetisierung wurde in den letzten 100 Jahren das Leben von draußen nach drinnen verlagert und Bildung („Lese-/ Naharbeit“) bekam eine sehr große Bedeutung. So kam es zu einer deutlichen Zunahme der Kurzsichtigkeit in Europa.

  • Licht: Heute weiß man, dass Licht das Fortschreiten der Myopie verringern kann. Schon ca. zwei Stunden Tageslichtexposition pro Tag halbieren das Risiko für das Auftreten einer Myopie. Hierbei scheint die Aufenthaltszeit im Freien (≥ 200 Minuten) wichtiger zu sein, als ein Aufenthalt in starkem Sonnenlicht. Bereits relativ geringe Lichtintensitäten (≥ 1000 Lux), ähnlich der Umgebungshelligkeit in beleuchteten Fluren oder unter Bäumen, zeigten einen Effekt.
  • Lesen und Naharbeit: Naharbeit, insbesondere Lesen mit kurzem Abstand, ist ein weiterer Risikofaktor. So wurde nachgewiesen, dass der beobachtete Zusammenhang von Dauer der Ausbildung und Myopie auf die mit der Ausbildung verbundene Nahsicht zurückzuführen ist. Für jedes Jahr Ausbildung können im Mittel 0,3 Dioptrien Myopiezunahme veranschlagt werden. Besonders deutlich wirkten sich kontinuierliches Lesen ohne Pause > 30 min Dauer und Lesen im Abstand < 30 cm auf die Zunahme der Kurzsichtigkeit aus.
  • Vererbung: Gegenüber den verhaltensbedingten Einflussfaktoren erklärt die Vererbung nur einen geringen Anteil der Myopieausprägung. Pro betroffenem Elternteil steigt aber das Risiko für das Kind, auch kurzsichtig zu werden: bei einem betroffenen Elternteil um ca 30%, bei zwei betroffenen Elternteilen um ca. 60%.
Gibt es Möglichkeiten, einer Myopie vorzubeugen?
  • Mindestens zwei Stunden Tageslichtexposition pro Tag
  • Lesepausen alle 30 min und Lesen im Abstand > 30 cm
Ist es möglich, das Fortschreiten einer bereits vorhandenen Myopie im Schulalter zu vermindern?

Die im Folgenden vorgestellten Möglichkeiten zur Minderung des Fortschreitens einer Kurzsichtigkeit haben in Studien an Patienten eine Wirksamkeit gezeigt und können den Familien daher vom Augenarzt angeboten werden. Für die Beratung der Familien und die Beurteilung, ob eine Prävention neben der ausführlichen Information über sinnvolle Verhaltensweisen (siehe oben) im Einzelfall sinnvoll sein kann, sind verschiedene Voraussetzungen zu berücksichtigen. 1) Alter: Die typische Kurzsichtigkeit, um deren Behandlung es hier geht, tritt erst im Grundschulalter auf und nimmt während der Zeit der schulischen und beruflichen Ausbildung zu. 2) Brillenwerte (Refraktion): Bisherige Studien rechtfertigen noch keine Behandlung emmetroper („normalsichtiger“) Kinder, um einer Kurzsichtigkeit vorzubeugen- selbst im Fall einer genetischen Belastung.

  • Niedrig dosierte Atropin Augentropfen: Seit über 100 Jahren ist bekannt, dass Atropin Augentropfen das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit vermindern. Der Wirkmechanismus ist immer noch nicht vollständig geklärt. Zwei Metaanalysen und eine großangelegte, randomisierte, klinische Studie belegen, dass allabendlich getropftes Atropin in einer niedrigen Konzentration von 0,01% die Myopieprogression signifikant mindert, und zwar um bis zu 50%. Das Sicherheitsprofil in asiatischen Studien war gut. Nebenwirkungen wie Blendung und Unscharfsehen in der Nähe traten nur in ca. 2% auf. Alle Daten aus randomisierten, kontrollierten Studien stammen bisher aus Asien, prospektive Fallserien aus Europa lassen aber eine ähnliche Wirkung bei Kaukasiern erwarten. Weitere große Studien sind – auch in Deutschland – geplant. Bisher ist diese Medikation nur als sogenannter „Off-Label-Use“ möglich. Das bedeutet, das Medikament Atropin ist noch nicht für die Behandlung der Myopie im Schulalter in Deutschland zugelassen. Eltern müssen die Kosten und eventuelle Risiken daher selbst tragen.
  • Kontaktlinsen: eine optische Korrektion mit einer zweiten Bildebene vor der Netzhaut (multifokale Kontaktlinse) kann die Progression mindern. Das Ausmaß der Progressionsminderung liegt bei etwa 30%. Die Verwendung spezieller multifokaler Kontaktlinsen ist möglicherweise mit einer leichten Beeinträchtigung der Sehqualität verbunden. Der Sehkomfort kann insbesondere unter Dämmerungsbedingungen eingeschränkt sein.
  • Ortho-Keratologie: Vergleichbare progressionsmindernde Effekte von bis zu 50% werden der Ortho-Keratologie nachgesagt. Hier werden spezielle Kontaktlinsen nur nachts getragen, die zu einer Verformung der Augenoberfläche führen.
  • Multifokale Brillengläser: In Asien sind Brillengläser namhafter Hersteller erhältlich, welche die Bildqualität im Außenbereich der Netzhaut verbessern. Ferner wurde dort ein Glasdesign (Multi-Segment Myopic Defocus) vorgestellt, bei dem eingearbeitete Mikrolinsen außerhalb der zentralen Zone ein zweites Bild vor der peripheren Netzhaut erzeugen, um so das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit zu vermindern.
Für wen ist eine Therapie mit Atropin Augentropfen 0,01% geeignet?

Kurzsichtigen Kindern im Alter zwischen ca. 6 und 14 Jahren mit Zunahme der Kurzsichtigkeit von mindestens 0,5 Dioptrien pro Jahr kann Atropin AT 0,01% angeboten werden. Diese Tropfen werden einmal vor dem zu Bett gehen in beide Augen getropft, bevorzugt konservierungsmittelfrei. Es handelt sich hierbei derzeit um eine „off-label Therapie“, das Medikament ist für diese Therapie derzeit nicht zugelassen. Daher müssen die Eltern die Kosten (ca. 300-500 Euro pro Jahr) und eventuelle Risiken selbst tragen. Wichtig zu wissen ist auch, dass bei etwa 10% der Kinder diese Therapie nicht wirkt (Non-Responder). Die Beurteilung der Myopie-Entwicklung erfordert längere Zeiträume der Nachbeobachtung von mindestens 12 Monaten. Die Beurteilung sollte eine Messung der Brillenwerte (Refraktion) in Zykloplegie und Bestimmung der Achsenlänge einschließen. Die Fortsetzung der Therapie ist spätestens nach einer Dauer von zwei Jahren oder Erreichen des 15. Lebensjahres zu prüfen. Bei nicht weiter zunehmender Kurzsichtigkeit sollte der Verlauf nach einer Pause beobachtet und beim Vorliegen einer Progression von über 0,5 Dioptrien pro Jahr über einen Wiederbeginn nachgedacht werden.

Welche Nebenwirkungen können durch Atropin Augentropfen 0,01% hervorgerufen werden?

Obwohl in den prospektiven Studien keine systemischen Nebenwirkungen gesehen wurden und kein Abbruch infolge einer allergischen Reaktion erfolgen musste, muss an diese Möglichkeiten  gedacht werden. Eine Kontrolle zur Verträglichkeit kann in der frühen Phase z.B. 2 bis 6 Wochen nach Beginn der Atropin-Therapie sinnvoll sein. Eine geringe Pupillenerweiterung von ca. 1 mm ist am Morgen häufig zu beobachten. In wenigen Fällen kann bei Nahsehbeschwerden eine Bifokal- oder Gleitsichtbrille notwendig werden.

Weiterführende Informationen

Stellungnahme des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands, der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft: 
Empfehlungen bei progredienter Myopie im Kindes- und Jugendalter (Stand Dezember 2018)